Wenn es im Äther spukt

Die Wittener Tage für neue Kammermusik entdecken das Netz als originäre Bühne 

Es ist Konsens, ein digital übertragenes Konzert für einen Kompromiss zu halten – für die Musik wie für den virtuellen Raum, in dem sie stattfindet. Musik, weiß man, klingt direkter im Saal, und ein digitales Konzert kann viel mehr sein als ein abgefilmtes Ensemble. Bei den diesjährigen Wittener Tagen für neue Kammermusik verband sich beides zu einer speziellen Kunstform: Musik, die sich von ihren räumlichen Abhängigkeiten emanzipierte.

Dass die Wittener Tage auch in diesem Jahr ohne Publikum stattfinden würden, war keine Überraschung. Die rein digitale Form hingegen schon, nämlich ohne Liveübertragungen, doch dafür mit Video- und Tonaufnahmen aus Paris, Wien, Frankfurt, Stuttgart und anderen Städten. Im Mittelpunkt: das Werk des in Besançon geborenen Brice Pauset. Drumherum war im Grunde alles wie immer, drei lange Tage, etliche Uraufführungen und Ursendungen, Newcomer-Vorstellung und Gesprächskonzerte – nur eben nicht im kleinen Witten, sondern im Netz und im Radio, weltweit. Der Aufwand im Hintergrund habe sich enorm gestaltet, sagt der Intendant Harry Vogt vor dem Gespräch: Um alle Konzerte aufzeichnen zu können, ohne die Musikerinnen und Musiker einzufliegen, reiste das Team von Stadt zu Stadt und baute Kameras und Mikrofone in ständig wechselnden Wohnungen und Sälen auf.

Fast zwangsläufig entwickelten kompositorische und dramaturgische Fragen nach der Art und Form des gemeinsamen musikalischen und akustischen Raums so eine besondere Kraft. Der Schwesternpark in Witten zum Beispiel wäre mit zwölf Freiluft-Kompositionen der lokale Schwerpunkt für das Publikum gewesen. Seiner Örtlichkeit beraubt, bedeutete das, dass die Kompositionen – unter anderem von Hanna Hartmann, Dariya Maminova und Kirsten Reese – hintereinander erklangen statt auf diversen Podien gemeinsam, moderiert statt erwandert, in Radioqualität statt mit Vogelzwitschern und Blätterrauschen im Hintergrund. Ein Umzug vom Bezugsort in die Erdatmosphäre – mit erheblichen Konsequenzen.

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Foto: stein egil liland von Pexels