Der Ort hat etwas Unwirkliches. Man betritt die steil nach unten führenden hölzernen Stufen des Zuschauerraums wie die Rampe zum Unterdeck eines Schiffs, geht an einem groben Seil entlang, während der Blick wie gebannt nach vorn wandert. Die Frontseite der Bühne im Teatro Olimpico mit ihren Säulen, all dem Schmuck und Stuck ist allein schon beeindruckend, aber das, was sich dahinter verbirgt, nimmt wirklich die Sinne gefangen: sieben Tore und dahinter Straßen und Wege, optisch mehrere Hundert Meter weit, unter sattblauem Himmel, eine Stadt! Und alles aus fein ziseliertem Holz, das schon seit 434 Jahren die Luft an diesem Ort leise färbt. Die Tiefe der Konstruktion ist so anziehend – wäre es nicht verboten, man würde wohl lieber im Bühnenbild herumlaufen, statt sich mit bloßem Schauen von den Rängen zu begnügen.
Das Teatro Olimpico ist das mit Sicherheit schönste Theater auf europäischem Boden und zudem eines der ältesten, genauer: das erste frei stehende Theatergebäude seit dem Ende der Antike. Das Betretungsverbot dient seinem Erhalt. Gebaut haben es Andrea Palladio und Vicenzo Scamozzi, man eröffnete es nach Palladios Tod am 3. März 1585, im Karneval, mit einer Aufführung von Sophokles‘ Drama König Ödipus. Die aufwendige Bühnenarchitektur wurde danach nur noch selten Kulisse für Theateraufführungen, die Gründe dafür sind vielfältig. Mittlerweile ist das Theater tagsüber ein Museum. Jetzt aber erwacht es wieder zum Leben, zukünftig immer im Oktober.
Der ungarische Dirigent Iván Fischer hatte bereits länger ein Auge auf das Teatro geworfen, schon vor 20 Jahren bei einer Reise durch Italien, erzählt er. „Es war immer ein Hintergedanke.“ An einem ungewöhnlich warmen Oktobertag des vergangenen Jahres sitzt er auf der Terrasse eines vicenzianischen Frühstückscafés, vor sich einen caffè und ein Croissant, hinter sich eine lange Premierennacht. Keine zwölf Stunden zuvor hat er seine erste Opernaufführung im Teatro Olimpico dirigiert, eine spartanisch ausgestattete, quirlige Interpretation von Verdis Falstaff. Diese zweidreiviertel Stunden waren der Beginn der ersten Ausgabe seines Vicenza Opera Festival – und ein kleiner Meilenstein, für Vicenza, für sein Theater, für die Oper.
Foto (c) Kata Schiller