Ruf aus anderen Sphären

Orgel muss nicht immer laut sein. Oft sind es gerade die leisen Register, an denen die wahre Schönheit eines Instrumentes zu erkennen ist: filigrane Aliquoten, weiche Flöten, zarte Streicher, charakteristische Solostimmen. Olivier Messiaen hat seine Stücke „Chants d’oiseaux“ und „Les Oiseaux et les sources“ genau diesen feinen Farben gewidmet, eine registrierungstechnische Herausforderung für jeden Organisten. Zwar schreibt er exakte Anweisungen in die Partitur, doch hängt deren Ausführbarkeit von den Möglichkeiten der jeweiligen Orgel ab, davon nämlich, wie die unter anderem vorgesehene Flûte Harmonique, Gambe, Clarinet, der Sesquialter oder der Nazard dort klingen, wenn sie denn vorhanden sind. Kantor Markus Uhl verfügt in der Heidelberger Jesuitenkirche über gleich zwei wunderschöne Instrumente, und er führte sie beide vor: die große Hauptorgel und die etwas kleinere Chororgel im Seitenschiff. Gemeinsam mit dem Klarinettisten Jörg Widmann gestaltete er am späten Donnerstagabend ein Konzert voller klanglicher Erleuchtungen in der großen Akustik der Kirche.

Juwelenregister der Orgel

Uhl und Widmann spielten abwechselnd Solowerke passend zum Konzertmotto „Der Gesang der Vögel“, und jedes Stück überraschte mit neuen faszinierenden Klängen. Wolfgang Amadeus Mozarts „Andante F-Dur für eine kleine Orgelwalze“ KV 616 und die „Fantasie f-moll für eine Orgelwalze“ KV 608 zauberte Uhl auf der Chororgel mit vollen und warmen Grundfarben, mit Liebe zum melodischen Detail. Bei den Messiaen-Stücken packte er die Juwelen-Register seiner Hauptorgel aus, die er nicht besser hätte wählen können. Die Obertonregister, die Uhl aussuchte, klangen – mal nackt, mal zusammen mit einem kaum hörbaren Flötengrundton – unwirklich, luftig und hell singend, die Kombination aus  Streicher- und hohen Flötenklängen wirkte fast elektronisch, der ferne Hall der Pfeifen hinter dem geschlossenen Schwellwerk schien wie ein Ruf aus anderen Sphären. Uhl kennt den Raum und seine Orgeln; er badete das Publikum in musikalischen Wogen, in schnellen Register- und Manualwechseln. Seine schillernde, aber allezeit präzise Spielart, seine virtuose Artikulation, all das konnte einen schwindelig werden lassen.

Sehnsucht nach dem Bass

Jörg Widmann spielte von immer anderen Orten aus. Erst tönte Luciano Berios „Lied für Klarinette“ überraschend von der Empore, dann das Klarinettensolo aus Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ aus dem Altarraum. Noch umwoben von den letzten Tönen der Orgel fiel es schwer, die Quelle der einsam umherziehenden Klarinettenmelodie auszumachen. Es war, als käme sie aus den Wänden. Widmann spielte virtuos mit der Akustik, schnappte einen fortgeschickten Ton nach einem kurzen melodischen Einwurf wieder auf und ließ ihn weiterschwingen, als hätte er nie abgesetzt. Gerade die Aufführung seiner „Drei Schattentänze“, eine ungestüme, kunstvolle Verschachtelung von rhythmischen, melodischen und klanglichen Erzählsträngen, war zum Staunen. Die vielen kaleidoskopartig schillernden Vogelstimmen in der Kirche weckten ein Sehnen nach Tiefe, nach Bass, nach satten und dunklen Frequenzen. Vielleicht wäre mehr stilistische Abwechslung in diesem späten Konzert denkbar gewesen. Oder zumindest die Aussicht auf ein saftiges Orgelplenum am Schluss.

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