Auf ihrem Debüt-Album „herstory“ wirft die Pianistin Mitra Kotte Licht auf einen vergessenen Teil der Musik des vergangenen Jahrhunderts: Sie spielt ausschließlich Werke von Komponistinnen ein und geht dabei ganz bewusst auch über die bekannteren Namen hinaus.
Eigentlich hat diese 21. Klaviersonate von Cécile Chaminade alles, was die Musikwissenschaft an Klaviermusik feiert: Sie ist kompositorisch komplex gebaut, emotional vielschichtig und spieltechnisch auf ganz unterschiedlichen Ebenen extrem virtuos – die Musik nutzt wirklich alle expressiven Qualitäten des Instruments. Ein wahrhaft großes Werk – und trotzdem ist es nie ins Repertoire eingegangen, ist nie Teil des Kanons geworden.
Die Pianistin Mitra Kotte zelebriert in ihrem Debüt-Album Cécile Chaminades vollgriffige Harmonien genau wie ihre lyrischen Melodien. Sie lässt ihre Finger über die Tastatur fliegen, und arbeitet im nächsten Moment präzise und aufmerksam kleine Melodien heraus als würde sie Blütenblätter berühren.
Dass diese Musik aus dem historischen Gedächtnis verschwunden ist, hat mit der Geschichtsschreibung des vergangenen Jahrhunderts zu tun: Cécile Chaminade war eine Frau, und allein deshalb erachteten die Hochwürden der Musikwissenschaft und des Musiklebens ihre über 400 Werke nicht als wertvoll und wichtig genug, um sie in Lexika, Konzertprogramme und Lehrpläne aufzunehmen, sie zu rezensieren oder ihnen anderweitig eine Bühne zu geben.
Mitra Kotte kann das nicht fassen – völlig zu Recht. Die Wiener Virtuosin hat deshalb ein Debüt-Album veröffentlicht, das es in sich hat: ausschließlich Musik von Komponistinnen, und WAS für Musik. Da sind Gipfelstücke dabei, ästhetische Meisterinnenwerke: Neben der eben erwähnten grandiosen Klaviersonate in c-Moll von Cécile Chaminade glänzt da zum Beispiel das bewegende „Dreaming“ aus Amy Beaches „Four Sketches“ oder Marie Jaëlls visionäres „Impromptu“ in a-Moll.
Auf ihrem Album interpretiert Mitra Kotte Klaviermusik, die das 19. und 20. Jahrhundert ästhetisch abbildet, mit allen Strömungen und Ausreißern. Die in Brünn geborene Vitezslava Kaprálová zum Beispiel war so ein progressiver Geist – unter anderem mit ihren „Aprilpräludien“ hat sie bewiesen, wie kunstvoll sich die französische Musiktradition mit der Folklore ihrer tschechischen Heimat verschmelzen lässt:
So gesehen ist das Album musikalisch also eigentlich alles andere als „außergewöhnlich“, denn, wie eingangs gesagt: Die präsentierten Werke sind Teil des vielschichtigen Sounds dieser Epoche. Sie gehören zur Musikgeschichte dazu – Punkt. Nur weil Frauen diese Werke komponiert haben, muss ihr Klang nicht gleich revolutionär oder sonstwie exotisch sein, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Im Gegenteil: Bei Emilie Mayers „Tonwellen“ zum Beispiel haben wir es ganz einfach mit wunderschönen eingängigen Melodien zu tun, die eigentlich genauso hätten ins kollektive Gedächtnis eingehen können – oder müssen – wie Schuberts „Ländler“ oder Chopins „Regentropfen“-Prélude.
Nach Hören dieses Albums fühlt man sich betrogen: Womit haben wir es verdient Jahrzehnte-, gar Jahrhundertelang diese Musik vorenthalten bekommen zu haben? Und gleichzeitig ist man Mitra Kotte tief dankbar dafür, dass sie ihr Talent, ihre Recherchezeit und ihr außergewöhnliches pianistisches Können dafür einsetzt, diese Musik sichtbar zu machen. Hoffen wir, dass da in Zukunft noch mehr kommt – denn es gibt viel nachzuholen.
[IP1]Das ist so ein bisschen Zahlen-dropping, du etwas schwierig einzuordnen, stammt die Sonate jetzt aus dem 20. Jahrhundert, oder nur die Musikwissenschaft, ich würde einfach sagen: hat alles, was man von einer Klaviersonate erwartet“. Und dann löst das „Eigentlich“ sich nicht auf, man wartet immer noch auf das „aber“, oder „Trotzdem“. Die Auflösung kommt aber zu spät