Asche auf den Antihelden

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Sara Gallardos Roman Eisejuaz war eine kleine Offenbarung. Als das Buch 1971 in Argentinien erschien, hatte in der Literatur bislang niemand aus der Perspektive eines Indigenen berichtet. Dieser Eisejuaz, Sohn eines Schamanen und gleichzeitig in christlicher Mission sozialisiert, konnte nicht nur Bäume und Tierwesen sprechen hören, ihm ist auch Gott selbst erschienen. Ihn verstört die Zerstörungswut des kolonisierenden Kapitalismus. Trotzdem pflegt und umsorgt er einen kranken rassistischen Weißen namens Paqui. Eisejuaz führt eine Gemeinschaft, die kollektiv statt individualistisch denkt und der Wahrheit und Spiritualität nähersteht als dem bürgerlichen Rationalismus.

Nicht nur Gallardos Geschichte war besonders, sondern auch, wie darin aus dem Dialekt ihres Protagonisten Poesie wurde. Nun hat Beat Furrer aus dem einst revolutionären Stoff eine Oper gemacht, Das große Feuer.Nach der Vorberichterstattung und der Einführung im Zürcher Opernhaus freut man sich eigentlich auf die bisher „politischste Oper“ des bedeutenden Komponisten. Es winken Kapitalismus-, Kolonialismus- und Religionskritik, eine starke indigene Stimme und zielgerichtete, konstruktive Wut – Sara Gallardos Eisejuaz spricht und handelt trotz wiederkehrender Zweifel voller Überzeugung und Weisheit, dieser stolze Mann, „schön und stark wie ein Stier“. Furrers Eisejuaz hingegen schwankt, auch körperlich. Der Darsteller Leigh Melrose stolpert, torkelt, kauert, hält sich fest an anderen Menschen oder den aus Bühnenboden und Decke ragenden Metallstangen, die an gigantische Bohraufsätze oder einen zerstörten Wald erinnern. Stotternd, im weißen Unterhemd wirkt dieser Mann wie ein Spielball der ihn umgebenden Kräfte, ein Antiheld, auf den es Asche regnet. Alles schwebt, die ganze Zeit, eine zähe Wolke aus Obertönen. Dazu bewegen sich Chor und Ensemble auch noch in Zeitlupe durch Henrik Ahrs schiefes Drehbühnenbild.

Bei genauem Hinhören und dem Blick in die Partitur wird zwar klar, was Beat Furrer beabsichtigt: Die menschliche Stimme als genuiner Teil der Natur verwebt sich mit den sie umgebenden Schwingungen. Der Orchesterklang schlingt sich um die Konsonanten, umarmt die Vokale, manchmal stößt er auch dagegen und spuckt noch einmal obendrauf. Die Stimmen der Natur werden zum eigenen klangfarblichen Motiv, das aber nach und nach verschwindet, genau wie Eisejuaz’ eigene Fähigkeit, die Stimme zu erheben.

Und ja: Stimmlich könnte Eisejuaz hier das Haus erbeben lassen, das deutet Melrose an, doch der Komponist lässt ihn nicht. Gleiches im Orchester: Da schneiden sich die obersten Frequenzen von Streichern und Akkordeon leise, aber penetrant ins Gehirn, flirren die Holzbläser im hohen Register, verstopfen Posaunen und Hörner ihre Tiefen mit Dämpfern. In diesen mehr als zwei Stunden sehnt man sich schon bald nach Fülle, nach Bass und Futter für den Brustkorb, nach dem Charisma dieser indigenen Figur und ihrem Widerstand, der bei Gallardo immer wieder aufflammt. Die Komposition auf das deutsch-spanische Libretto will sich zwar solidarisieren, verliert aber beim Streicheln der Details den Zusammenhang aus den Augen. Da können die zwölf Sängerinnen und Sänger des Ensembles Cantando Admont noch so virtuos ihre Vierteltöne intonieren, es hilft nichts – nicht die Stillleben, die Tatjana Gürbacas und Vivien Hohnholz auf die Bühne gebracht haben, und ebenso wenig Leigh Melroses, Andrew Moores (Paqui) und Sarah Aristidous (Muchacha) bewegendes Schauspiel.

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