Wolfsgegröhle

© Volker Beushausen

Für Frauen und diskriminierte Personen ist das Leben im Patriarchat kein Spaziergang, um es – in vorauseilender Konfliktbefriedung – höflich auszudrücken. Schließlich handelt es sich um Strukturen, die darauf ausgelegt sind, die Macht einer bestimmten kleinen Gruppe von Menschen zu erhalten und das selbstbestimmte Leben einer anderen Gruppe zu erschweren oder zu verunmöglichen. Analyseansätze dazu wuchern wie Efeu, und Olga Neuwirths Oper Bählamms Fest von 1999, die neu inszeniert am Sonntag bei der Ruhrtriennale gezeigt wurde, könnte als ein solcher Analyseansatz verstanden werden. Doch sie ist noch deutlich mehr als das: ein Lamento, ein Horrorfilm, ein Manifest und in ihrer Inszenierung durch die Theaterkompanie Dead Centre große politische Kunst.

Die inhaltliche Vorlage mit dem Titel The Baa-Lamb’s Holiday stammt aus dem Jahr 1940 und ist ein surreales Theaterstück der Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington. Die junge Theodora (Katrien Baerts) ist die zweite Frau des alkoholsüchtigen Jägers Philip (Dietrich Henschel), dessen erste Frau Elizabeth (Gloria Rehm) verschwunden ist. Gemeinsam mit ihm lebt sie in dem Haus seiner Mutter Mrs. Margret Carnis (Hilary Summers), die mit ihrem geliebten Hund Henry (Graham F. Valentine) noch einen zweiten Sohn hat: den Wolfsmenschen Jeremy (Andrew Watts). Jeremy lebt in der Bochumer Inszenierung im Freien und tötet nach und nach die Tiere des stotternden, offenbar wahnsinnigen Schäfers (Marcel Beekman). Angewidert von ihrem brutalen Ehemann Philip zieht sich Theodora immer öfter in das Kinderzimmer des Hauses zurück, wo sie Jeremy begegnet und ihm auf sonderbare Weise verfällt. Eines Tages kehrt Elizabeth zurück und hetzt, gemeinsam mit Philip und gegen den Willen der Mutter, bemaulkorbte Polizisten – halb Hund, halb Mensch – auf den Schafsmörder Jeremy, die ihn schließlich umbringen. Als Toter sucht Jeremy Theodora noch einmal auf und formuliert eine Bedingung: Nur wenn sie jung und schön bleibt, kann er sie lieben. Elfriede Jelinek (von ihr stammt das Libretto) und Neuwirth fügen diesem Ende Carringtons noch ein weiteres Bild hinzu: Theodora steht allein auf der Bühne und entscheidet sich gegen Jeremy – und für das Älterwerden.

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