Von heute auf morgen in Schutt und Asche

© Arnold Schönberg Center, Wien

Über 100.000 Gegenstände hatten Gertrud Schönberg und ihr Sohn Larry Schoenberg seit 1965 in diesem Haus auf der Bienveneda Avenue in Pacific Palisades gesammelt und aufbewahrt. Briefe waren das, Bücher, Fotografien, Bilder, Manuskripte und Partituren, manches davon noch aus Arnold Schönbergs persönlichem Besitz, des 1951 gestorbenen österreichischen Komponisten, revolutionären Entwicklers der Zwölftonmusik – und Ehemann von Gertrud (die etwa das Libretto zu Schönbergs Oper Von heute auf morgen verfasst hat) sowie Vater von Larry. Schönberg war mit seiner Familie bereits 1933 über Frankreich aus Nazideutschland in die USA emigriert und war bald nach Los Angeles gekommen, lange vor deutschen Exilanten wie etwa Thomas und Katia Mann; Schönberg hatte bald den im Englischen nicht existenten Umlaut ö in seinem Zunamen durch ein oe ersetzt. Larry, das jüngste Kind der nun Schoenbergs (Gertrud starb im Jahr 1967), wurde 1941 eben in Los Angeles geboren und lebt bis heute dort. 

Bis zuletzt in dem Haus auf der Bienveneda Avenue, in dem in einem zweiten Gebäudeteil der Musikverlag Belmont Music Publishers untergebracht war mit den Archivalien Arnold Schönbergs. Der Ort war eine Art nordamerikanischer Schönberg-Umschlagplatz: Musikerinnen und Musiker, die Werke des Komponisten aufführen wollten, konnten dort Noten leihen oder kaufen, ständig kamen Anfragen rein, packten Larry Schoenberg und seine Frau Pakete und verschickten sie in die ganzen USA. Sowohl Originalwerke Schönbergs als auch Arrangements derselben, auf deren Herausgabe sich der Verlag mit den Jahren spezialisiert hat – und viele Werke, die noch zu Schönbergs Zeiten in seinem Verein für musikalische Privataufführungen entstanden sind.

Jetzt, Anfang Januar 2025, liegt dieses Haus und alles, was darin aufbewahrt wurde, in Schutt und Asche. „Am 8. Jänner haben sie uns ein schreckliches Foto geschickt, wo man Rauchschwaden gesehen hat“, sagt Dr. Ulrike Anton, Direktorin des Arnold Schönberg Center in Wien. „An diesem Tag sind der Belmont-Verlag und das Wohnhaus von Larry Schoenberg und auch das Haus seiner Tochter abgebrannt.“ Die Mitarbeiterinnen des Schönberg Centers stehen nicht erst seit dem Brand in engem Austausch mit der Familie Schoenberg in Los Angeles. Anton selbst ist erst vor Kurzem dort noch zu Besuch gewesen, hat in Larry Schoenbergs Haus gewohnt, „was für mich ganz besonders war“ – wahrscheinlich, glaubt sie, war sie die letzte Besucherin, die den Verlag und das Haus von innen gesehen hat. „Das Zimmer, in dem ich gewohnt habe, und natürlich das gesamte Haus mit Bibliothek und Notenlager, das gibt es nicht mehr.“

Immerhin – und das ist eine große Erleichterung – liegen Arnold Schönbergs Originalpartituren und Handschriften seit 1998 nicht mehr in Los Angeles, sondern in Wien: „Originale seiner Schriften, Fotos, alles, was mit dem Nachlass zu tun hat, ist bei uns“, sagt Anton. Heißt: Unwiederbringlich verloren sind durch das Feuer in Los Angeles also in erster Linie Gegenstände von privatem, emotionalem Wert. Zum Beispiel Originalposter von Uraufführungen. Oder Bücher, in die Arnold Schönberg für seinen Sohn Larry handschriftliche Widmungen geschrieben hat. Wie die L. A. Times berichtet, sind nur noch 16 Bücher aus dieser privaten Bibliothek erhalten – weil Larry sie im Dezember per Post an seinen Neffen E. Randol Schoenberg geschickt hatte. ZEIT ONLINE hat den 83-jährigen Larry Schoenberg kontaktiert, doch dieser scheint aus nachvollziehbaren Gründen derzeit nicht unbedingt als Erstes auf Anfragen deutscher Medien reagieren zu können.

Im schlimmsten Fall gibt es doch einzelne Werke zeitgenössischer Komponistinnen und Komponisten, die durch das Feuer unwiederbringlich verloren gegangen sein könnten – Arrangements und Bearbeitungen, die möglicherweise noch nicht verlegt wurden. „Wenn es keine Handschriften sind, dann sind sicherlich Eintragungen von Dirigentinnen darin gewesen“, sagt Anton, „oder wichtige Hinweise zum Entstehungsprozess, die man an den Verlag gibt, um die Noten herzustellen.“ Hier unterstütze das Arnold Schönberg Center die Familie bei der Rekonstruktion, ob im Kontakt mit den möglicherweise betroffenen Komponisten oder in Zusammenarbeit mit der Universal-Edition, die auch einige der Belmont-Materialien im Vertrieb hat. „Aber es kann durchaus sein – das ist jetzt noch nicht klar –, dass manche Werke wirklich im schlimmsten Fall für immer verloren sind“, sagt Anton.

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© Arnold Schönberg Center, Wien