Kurz vor der Bundestagswahl haben die Gewerkschaften der freien Szene und der Orchester eine Analyse herausgegeben, in der sie die Parteiprogramme an ihren Forderungen messen. Die anschauliche Tabelle kommt genau zur richtigen Zeit, findet Hannah Schmidt.
Die Orchestergewerkschaft unisono, der Verband Freie Orchester und Ensembles (FREO), die Jazzunion und Pro Musik fassen die zentralen Forderungen der freien Musikszene in fünf Aspekten zusammen: Kulturförderung, Soziale Absicherung, Verbesserung der Einkommen, Entbürokratisierung und ein Ende der Doppelbesteuerung im Ausland. Für diese Anliegen kämpfen die Vertreterinnen freier Kunstschaffender jetzt schon seit Jahrzehnten. Sie bedeuten übersetzt vielleicht soviel: Die Politik muss dafür sorgen, dass die Kunst frei bleibt. Frei von Zwängen, frei von Geldsorgen, frei von zeit- und kräfteraubendem Papierkrieg, was alles Ressourcen bindet und Projekte im Keim ersticken kann. Die Politik, so die Forderung, muss sicherstellen, dass die Kunst frei ist zur Entfaltung.
Umso erschreckender ist es, dass in der Analyse der Parteiprogramme bis auf eine Partei eigentlich alle anderen durchfallen: Nur Die Linke hat in ihrem Wahlprogramm zu vier der fünf Forderungen klare Statements zugunsten der freien Szene festgehalten. Die Partei will einstehen für Kulturförderung, Soziale Absicherung, eine Verbesserung der Einkommen und die Abschaffung der Doppelbesteuerung im Ausland. Allein zur Entbürokratisierung haben die Gewerkschaften nichts im Wahlprogramm gefunden. Die Grünen und die SPD erfüllen die Forderungen in einem etwas geringeren Maß: Ihre Äußerung zur Entbürokratisierung geht den Gewerkschaften aber nicht weit genug.
Alles andere – und hier sprechen wir über die Programme der FDP, des BSW, der AfD und ja, auch der CDU/CSU – fällt krachend durch. Das BSW formuliert immerhin noch eine positive Forderung in puncto sozialer Absicherung, und die FDP will sich gegen die Doppelbesteuerung einsetzen – aber alle anderen? Keine einzige Position, die der freien Szene auch nur annähernd nützt. Im Gegenteil: Bei der AfD könnte man sogar von einer geplanten völkischen Instrumentalisierung der Kunst sprechen – laut Wahprogramm sieht sie die Hauptaufgabe der Kultur nämlich darin, die „deutsche Leitkultur“ zu stärken und „identitätsbildend [für unser Volk]“ zu wirken. Der Journalist Peter Laudenbach schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung: „Wenn die AfD auf diese Weise Kultur oder gar Kunst auf eine ‚gemeinschaftsstiftende Wirkung‘ verpflichten will, ist sie […] von der Idee der Kunstautonomie [überfordert]. Dass die Freiheit der Kunst spätestens seit der Moderne gerade darin besteht, keinen kunstexternen Zwecken zu unterliegen, hat sich noch nicht bis zu den Kulturpolitikern der AfD herumgesprochen.“
Die Bundesrepublik steuert laut aktueller Umfragen auf eine CDU-geführte Koalition zu, mit Friedrich Merz als Kanzler. Für die Kunst und die freie Szene könnten es harte Zeiten werden. Wenn die CDU entsprechend ihres Wahlprogramms durchregiert –mit Joe Chialo als Kulturminister, der gerade in Berlin mit drastischen Kulturkürzungen von sich Reden macht –, dann beginnt für viele Ensembles und Orchester, für Festivals und Initiativen, für Künstlerinnen und Kollektive ein Kampf ums Überleben.
Wagen wir einen Ausblick: Die Kulturlandschaft könnte in vier Jahren auf einen Bruchteil ihrer jetzigen Größe und Vielfalt zusammengeschrumpft sein. Damit würde ein wichtiger demokratischer Diskurs- und Visionsraum nach und nach im Prekariat verblassen: weniger Kunst – weniger Geld – weniger Relevanz – weniger Kunst und so weiter. Das Schlimmste daran ist vielleicht: Eine derart geschwächte kulturelle und künstlerische Szene macht am Ende eine ganze Demokratie vulnerabel. Denn freie Kunst – WIRKLICH freie Kunst – ist das Lebenselixier einer freien Gesellschaft. Nehmen wir also diese Auswertung ernst. Werfen wir die Kunst nicht vor die Hunde.
Um mit den Worten von Manos Tsangaris und Anh-Linh Ngo, den Präsidenten der Akademie der Künste, zu schließen: „Wenn politische Vorgaben die Kunstfreiheit einschränken, verliert die Kunst ihre essenzielle Funktion. (…) Es liegt an uns allen, die Freiheit der Kunst zu verteidigen und sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft ein hohes Gut bleibt.“
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