Sängerinnenstreit

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Dass die Öffentlichkeit von Künstlerinnen und Künstlern erwartet, dass die sich zum Weltgeschehen äußern, ist nicht neu. Es liegt sogar in der Natur der Sache: Kunst ist nie aus ihrem Kontext zu trennen, sie entsteht vor dem Hintergrund der Sozialisation der Person, die die Kunst schafft, sie bekommt eine Bühne geboten in einer Gesellschaft, die ihr dafür den Raum gibt. Erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler und ihr Werk werden nicht selten sogar zur Identifikationsfolie für ganze Länder. Und selbstverständlich schauen viele Augen gerade auf sie, wenn Nationen in Konflikte geraten, gar Krieg führen. So ist es etwa nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 passiert (dass das kaum geschah, als Russland im Jahr 2014 die Krim annektierte, ist bis heute erstaunlich). Spätestens seit dem Eklat um eine als Solidaritätskonzert angesetzte Veranstaltung im Schloss Bellevue im März 2022, der der damalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, unter lautstarkem Protest fernblieb – weil neben ukrainischen auch russische Musiker spielten und auch Tschaikowsky und Schostakowitsch zu hören war –, müsste allen Beteiligten auch klar sein: Auftritte russischer Künstlerinnen und Künstler sind derzeit in Deutschland politisch brisant.

Besonders schwierig wird es, wenn diese Künstler und Künstlerinnen und ihre politischen Haltungen ambivalent bleiben, wie es etwa bei der weltberühmten russischen Sängerin Anna Netrebko der Fall ist (die neben der russischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt). Wie sollen sich Konzertveranstalter und Opernhäuser in Deutschland gegenüber einer Frau verhalten, die über lange Jahre eine mindestens symbolische Unterstützerin Wladimir Putins war und die Nähe des russischen Präsidenten, wenn nicht gesucht, so zumindest nie gescheut hat? 

In der eigentlich friedlich wirkenden Stadt Wiesbaden ist über eine Einladung Netrebkos zu den örtlichen Maifestspielen nun ein heftiger Streit entbrannt. Deren künstlerischer Leiter Uwe Eric Laufenberg hält nach eigener Darstellung an einem Vertrag fest, der bereits vor Beginn des Ukraine-Kriegs angebahnt worden sei. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE sagt Laufenberg, er halte Netrebkos Statements zum Krieg für klar genug. Im März vergangenen Jahres hatte sie den Krieg in einem Statement verurteilt und im Juni im Gespräch mit der ZEIT betont, dass sie nach wie vor dazu stehe: „Ich bin natürlich gegen diese schreckliche Gewalt.“ Im Gegensatz zu Laufenberg verstanden viele andere Netrebkos Äußerungen als erzwungen und lustlos – eben im Gegenteil als gerade nicht deutlich genug. Darüber kann diskutiert werden. So oder so aber, sagt Laufenberg, bleibe Netrebko ja im Westen und verschwinde nicht, so wie beispielsweise der Dirigent Valery Gergiev, in den Osten – sie habe sich entschieden, und damit sei die Sache für ihn erledigt.

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