„Das Stück ist wie ein Radio, das den Sender nicht richtig eingestellt kriegt. Es ist eine Blamage und eine Frechheit.“ Diese Worte stammen von der Tanzkritikerin Wiebke Hüster, sie sind vorgestern in der FAZ erschienen. In dem Text geht es um ein Werk des Choreographen Marco Goecke. Harte Worte? Definitiv. Sind sie ungerecht? Vielleicht. Kann man als Künstlerin oder Künstler darüber wütend werden? Natürlich.
Die Reaktion von Marco Goecke allerdings schießt den Vogel ab. Am gleichen Tag, an dem der Text erschienen war, soll der Ballettdirektor der Staatsoper Hannover auf seine Kritikerin gewartet und sie angegriffen haben – zunächst verbal, und dann mit einer Tüte Hundekot, den er ihr ins Gesicht gedrückt haben soll. Kritikerin Wiebke Hüster erstattete sofort Anzeige, und die Staatsoper Hannover schickte ein relativierendes Statement an den Presseverteiler.
Was ist hier passiert? Anscheinend hat Marco Goecke es erschreckend lang für eine gute Idee gehalten, die Kacke seines Hundes mit sich herumzutragen, um seine Kritikerin Wiebke Hüster im Falle des Falles damit anzugreifen. Die Aktion ist dermaßen widerlich, dass es einem die Sprache verschlägt – mal ganz davon abgesehen, dass jemand, der Menschen mit Tierkot angreift, definitiv keine Leitungsposition innehaben sollte. Nochmal: Marco Goecke ist nicht nur irgendein Regisseur. Er ist – Balletdirektor! Wie verhält sich jemand, der seine Aggression dermaßen schlecht unter Kontrolle hat, wohl gegenüber seinen Mitarbeitenden?
In diesem Fall ist ganz klar: Selbst wenn Wiebke Hüster harte Worte gewählt hat, um Goeckes Inszenierung zu kritisieren, so ging es dem Ballettdirektor bei seinem gewaltvollen Angriff ja nicht um den Text, einzelne Begriffe oder ihre Argumentation. Seine Motivation war einzig und allein, seine Kritikerin in der Öffentlichkeit, vor aller Augen, so hart es geht zu demütigen.
Dieser Gewaltausbruch ist dabei weder ein Kunstskandal im Sinne der Avantgarde, noch ist er „peinlich“ oder etwas ähnlich Verharmlosendes. Goeckes Aktion wurde bisher als Angriff auf die Kunstkritik an sich gedeutet, und das stimmt in Teilen auch. Ich sehe aber noch einen Aspekt: Mit seiner Aktion steht Goecke nämlich, ob er will oder nicht, in einer langen Tradition von Männern, die Frauen mit demütigenden Gesten den Mund verbieten. Ob nun im privaten Raum oder in der Öffentlichkeit, in Filmen, Werbung oder auf der Bühne. Es ist nichts Neues, dass ein Mann damit Probleme hat, ausgerechnet von einer Frau kritisiert zu werden – und so geht es hier unweigerlich auch um patriarchale Machtstrukturen.
So fürchterlich diese Aktion ist, so entlarvend ist sie auch für einen Betrieb, der Männer wie Goecke in Führungspositionen pusht – immer noch. Immerhin hat die Staatsoper ihn mittlerweile suspendiert und ein Hausverbot erteilt. Richtig so.