Feminismus sei „ein Kampf, der weh tun wird, weil wir einsehen müssen, an wie viel Scheiße wir uns gewöhnt haben“ – so formuliert es Margarete Stokowski im Vorwort ihres Buches „Untenrum frei“. #MeToo hat diese These zwei Jahre später schmerzhaft bewiesen, in der Popkultur wie auch in der Klassik. Was Männer wie der deutsche Pianist Siegfried Mauser, Placido Domingo oder der US-amerikanische Dirigent James Levine an Machtmissbrauch über Jahrzehnte für in Ordnung hielten, war auch in der Szene und gesellschaftlich weitgehend toleriert. Trotz der weitreichenden Debatten, die #MeToo in Gang setzte, steht der Prozess der Veränderung erst ganz am Anfang.
Es geht dabei nicht allein um die Unterdrückung von Frauen im direkten Arbeitskontext, sondern um multiple Praktiken des Ausschlusses und der Diskriminierung aufgrund unterschiedlicher Merkmale – und da ist die Klassik, nach wie vor, ganz vorne mit dabei. Noch immer werden nur vier der 130 öffentlich geförderten Orchester in Deutschland von Frauen geleitet. In den allermeisten Konzerten wird nach wie vor nur Musik von Männern zur Aufführung gebracht, und sie alle sind weiß. Die Szene hat ein enormes Problem mit , auch anti-asiatischem, Rassismus.
Sexismus und Rassismus auf der Bühne. Das mag mit den Geschichten zusammenhängen, die die großen und kleinen Häuser Abend für Abend auf ihren Bühnen reproduzieren, denn sie erzählen nicht selten von weißer Überlegenheit, Rassismus und Antisemitismus, von Vergewaltigung und Femiziden, von männlichem Anspruch auf weibliche Verfügbarkeit.
Ebenso subtil wie offensiv zeigt sich auch Rassismus in diesen Libretti: Wie es die Opernängerin Katia Ledoux in einem Interview auf den Punkt bringt, singt beispielsweise Monostatos in Mozarts „Zauberflöte“ „eine ‚lustige‘ Arie darüber, dass er die schöne weiße Frau vergewaltigen möchte, ‚weil ein Schwarzer hässlich ist‘ und sie ihn freiwillig nie lieben würde.“ Werke wie „Carmen“ dagegen reproduzieren rassistische Klischees, während „Turandot“, „Die Entführung aus dem Serail“ und „Madama Butterfly“ das „Fremde“ exotisieren, herabsetzen und es sich je nach Inszenierung sogar gewaltvoll aneignen.
Was gilt als gute Musik? Letztendlich beeinflusst diese Tradition, was Publikum, Intendanzen und Musikwissenschaft überhaupt als gute Musik wahrnehmen. Der amerikanische Musikwissenschaftler Phil Ewell dekliniert diese Kritik in seinem Text „Music theory’s white racial frame“ durch: Der Kanon sei nicht gottgegeben, genauso wenig wie die musiktheoretischen Regeln, nach denen über Jahrhunderte hinweg musikalische Qualität bewertet worden sei. „Definiert und geschrieben haben all das weiße Männer, die damit die Deutungsmacht ergriffen haben“, sagt Ewell in der „Zeit“. „Was sie definierten, gilt als ästhetischer Standard für die Musik – und er gilt als überlegen.“