Stoppt endlich das Zelebrieren von Gewalt gegen Frauen

Vor der Rache: Grace aus der Essener Inszenierung der Oper "Dogville" © Agnès Ricard für DIE ZEIT

Dieser Text ist eine Intervention. Nicht gegen musikalisch und handwerklich brillante Kunstgriffe, nicht gegen fantastische sängerische, schauspielerische und orchestrale Leistungen rund um ein beeindruckendes Bühnenbild – sondern gegen etwas Grundsätzliches: Zu lange schon schauen wir dabei zu, wie zumeist männliche Kunstschaffende in ihrer Lyrik, ihren Filmen, ihren Büchern, Bildern und, ja, Opern die reale Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen lustvoll reproduzieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob währenddessen dramatische Musik erklingt oder eine Figur darauf hinweist, dass ja echt gemein ist, was da passiert – nein. Die Perspektive und Dramaturgie entscheiden. Und langsam reicht’s.

Gordon Kampes Oper Dogville, die jetzt in Essen gespielt wird, hätte eine interessante Neubetrachtung des zwanzig Jahre alten gleichnamigen Films von Lars von Trier sein können, eine Racheoper zum Beispiel, in der Grace die entscheidende Kraft ist – und nicht die Gewalt gegen sie. Wir befinden uns schließlich im Jahr 2023, MeToo prägt seit mittlerweile fünf Jahren den globalen Diskurs!

Doch auf der Essener Bühne muss Grace über eine Stunde lang schlimmste Demütigung und Misshandlung ertragen, bis sie am Ende ein paar Minuten Zeit für ihre vergleichsweise lasch inszenierte Rache bekommt. Die übt sie zum großen Teil auch noch nicht einmal selbst aus, sondern lässt das ihren Vater erledigen, der auftritt wie ein alttestamentarischer Gott im Mafia-Gewand. Alles Vorherige ist dagegen so detailverliebt komponiert und in Szene gesetzt, bekommt so viele Facetten und vor allem so unglaublich viel Raum, dass es an Voyeurismus grenzt. Nicht zuletzt fallen darunter die sexuellen Übergriffe – so viele Vergewaltigungen in so kurzer Zeit waren bisher in wohl kaum einer anderen Oper zu sehen.

Das heißt alles nicht, dass Gewalt kein Thema mehr auf Bühnen sein darf – das muss sie sogar, wenn Kunst in einer gewaltvollen Realität einen gesellschaftlichen Anspruch haben will. Die Frage ist allerdings, zu welchem Zweck diese Gewalt gezeigt wird, aus welcher Perspektive, an wem und wie. Gewalt an Frauen hat im Vergleich zur Gewalt an Männern eine kulturelle Tradition mit entsprechenden Ritualen, Konventionen und einem etablierten Vokabular. Es geht besonders bei sexualisierter Gewalt und Demütigung um patriarchalen Machterhalt.

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© Agnès Ricard für DIE ZEIT