Der Chefredakteur der „Opernfreund“-Redaktion, hat im Nachhinein noch versucht, den Text seines Kollegen zu rechtfertigen: Dieter David Scholz habe lediglich, wie in einer Kritik üblich, seine subjektiven Eindrücke des Abends beschrieben. Die Körperlichkeit der Sängerin sei hierbei „Teil der künstlerischen Darstellung“ und könne und müsse damit auch Teil der ästhetischen Bewertung sein. Man dürfe die „Körpermaße“ der Sängerin deshalb genauso wenig „beschweigen“ wie eine, Zitat, „häßliche Stimmfarbe“ oder das „Unvermögen, den Takt zu halten oder die richtigen Töne zu treffen“. Wer das nicht aushalte, solle eben keine Kritiken lesen.
In diesen Worten konzentriert sich genau das Problem, das auch dem ursprünglichen Text zugrunde liegt: An den Körper einer Sängerin stellen diese beiden Männer mit ihren Worten den gleichen ästhetischen Anspruch wie an ihren Gesang. Das ist allerdings ein Denkfehler. Für eine Opernsängerin ist das Singen eine professionelle Leistung, die man an ästhetischen und künstlerischen Ansprüchen messen kann: Im Studium lernte sie die Stimme zu färben, Töne zu treffen, den Takt zu halten, genauso wie mit ihrem Schauspiel die Ideen der Regie umzusetzen. Was aber definitiv nicht zu dieser Ausbildung und Profession dazugehört, ist, mit ihrem Körper einem Schönheitsideal zu entsprechen oder den Männern im Publikum zu gefallen.
Dass diese Kategorien oft nicht voneinander getrennt werden – also: die Profession, die Rolle und der Mensch –, das passiert vor allem Frauen und hat in der Regel einen sexistischen Hintergrund. Stellt man sich die gleichen Worte einfach als Beschreibung eines männlichen Sängers vor, kommen sie einem – völlig zurecht! – absolut deplatziert vor: „(Seine) Zurschaustellung seiner allzu üppigen, kaum verhüllten, nicht eben ansehnlichen Männlichkeit grenzte ans Peinliche.“ Was hat die „allzu üppige“, „nicht eben ansehnliche Männlichkeit“ des Sängers mit der verkörperten Rolle zu tun? Richtig – nichts. Es geht an dieser Stelle in jener Rezension nicht mehr um die schauspielerische Leistung, das Kostüm oder Entscheidungen der Regie, sondern ganz explizit um die Sängerin selbst, um die Beschaffenheit ihres Körpers. Da wird es persönlich und diskriminierend, und das wird dem Anspruch einer künstlerischen Kritik nicht gerecht.
strukturkritischer nachklapp
Hier winken doppelte Standards: Eine Frau auf der Bühne soll schlank und schön sein, und ist sie es nicht, dann haben sie oder die Regie die ihr zugeschriebenen Makel – Üppigkeit und Unansehnlichkeit – gefälligst zu verhüllen, sonst gibt es eine Rüge. An Männer wird dieser Anspruch nicht gestellt. Sie können zumeist aussehen wie sie wollen, und bewertet wird trotzdem ihre professionelle Leistung – wie es ja eigentlich auch sein sollte.
Dass Frauenkörper zum Objekt gemacht und anders angeschaut und bewertet werden als die Körper von Männern, ist in einer patriarchalen Gesellschaft leider an der Tagesordnung. Klares Body-Shaming wie in diesem Fall befördert diese Kultur der Diskriminierung und Unterdrückung – und zwar egal, ob nun ein Mann oder eine Frau dieses Bodyshaming betreibt. Kunstkritik sollte eigentlich längst dazu in der Lage sein, entsprechend zu differenzieren – und zwar um der Kunst Willen.
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