„Niemand plant gerade mehr irgendwas“

Freie Musiker:innen über den zweiten Shutdown.

Als wäre nicht der erste Shutdown und die damit verbundene vorübergehende Schließung aller Kulturstätten, Theater und Konzerthäuser schon schwer genug für Künstler:innen und Veranstalter:innen gewesen – und ja, auch fürs Publikum –, wiederholt sich dasselbe Szenario nun seit über einer Woche für viele wie in einem schlechten Traum. Hier grüßt zwar einerseits das Murmeltier – aber andererseits auch nicht, denn die freiberuflichen Kulturschaffenden, die nun wieder nicht arbeiten dürfen, wieder mit abgesagten Auftritten umgehen müssen und wieder kein Geld verdienen, haben jetzt, im November 2020, schon sieben Monate Dürrephase hinter sich.

»Dieses Mal ist es anders«, sagt Trompeter Simon Höfele vergangene Woche am Telefon, »weil sich das Angstbild grundlegend geändert hat. Wir wissen jetzt, woran wir sind und wie scheiße es wirklich sein kann. Wenn man all das jetzt wiederkommen sieht, ist das ein Schlag ins Gesicht, aber mit Ansage.« Er selbst, das betont er immer wieder, habe Glück gehabt: keine Familie, die von seinen Honoraren mit lebt, kein frisch gekauftes Haus, keine absolute Auftrittsflaute in den vergangenen Monaten. »Ich habe zwar fest damit gerechnet, dass es so kommen wird«, sagt er. »Aber von Woche zu Woche wurde mir klarer: Ich will das nicht nochmal erleben.« Höfele vermeidet zwar konsequent, die Option, den Musikerberuf aufzugeben, beim Namen zu nennen, nachgedacht habe er über die »Gretchenfrage« schon. »Obwohl es bei mir noch nicht so weit ist, zum Glück«, sagt Höfele und lacht kurz: »Und ich sage schon ›noch‹.« Für ihn könnte die Fotografie ein Plan B sein.

Cembalistin Elina Albach berichtet von Schicksalen, die sie selbst im beruflichen Umfeld miterlebt hat: »Ich kenne viele Kolleg:innen, die in den ersten Monaten kellnern gegangen sind, was ihnen jetzt im zweiten Shutdown aber wieder wegbricht. Außerdem weiß ich von einer fantastischen Sängerin aus Basel, die jetzt als Straßenbahnschaffnerin arbeitet. Sie ist eine der tollsten Altistinnen, die ich kenne, und es ist ein unglaublicher Verlust für die Szene.« Nachvollziehen könne sie die Entscheidung dennoch: »Sie hat ein Kind und braucht von irgendwoher Einkünfte und eine gewisse Zuverlässigkeit.«

Dem ersten Shutdown habe sie positiver gegenübergestanden als diesem, meint Albach. »Churchills ›never waste a good crisis‹ war damals mein Leitmotiv. Aber das hat sich rapide geändert, denn das kann ich einem Kollegen, der seine Familie nicht mehr ernähren kann, nicht sagen. Ich fürchte wahnsinnig um die Existenz von ganz vielen tollen Musikerkolleg:innen.« Weil sie selbst im vergangenen Winter ein Kind bekommen hat, konnte sie in den letzten Monaten vom Elterngeld leben. Ihr Freund bekommt ein regelmäßiges Gehalt, und sie können, aktuell gerechnet, auch im nächsten Jahr noch ihre Miete zahlen. Dennoch: »Ich mache dieses Jahre Verluste von 30.000 bis 40.000 Euro. Von dem Geld wollte ich auch den Kredit abbezahlen für ein Instrument, das ich im Sommer bekommen und auf das ich vier Jahre gewartet habe.« Das sei nun nur mit familiärer Unterstützung möglich gewesen – Schulden bleiben trotzdem.

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