Christian Thielemann wird neuer Chef der Staatskapelle Berlin. Er tritt damit die Nachfolge von Daniel Barenboim an, der sich krankheitsbedingt zurückziehen musste. Die Entscheidung wird heftig kritisiert, besonders wegen Thielemanns in Verruf geratenen Führungsstils. In der anderen Waagschale liegt seine künstlerische Genialität. Doch diese offenbar gesetzten Argumente findet Hannah Schmidt fragwürdig – ein Kommentar.
Christian Thielemann hat sich in seiner Zeit in München, Bayreuth und Dresden nicht gerade einen sympathischen Ruf erarbeitet. Mehrere Orchester hat er im Streit verlassen und war immer wieder in öffentliche Rangeleien um Führungskompetenzen verwickelt, unter anderem mit Katharina Wagner und dem geschassten Intendanten Serge Dorny in Dresden.
„Kein leichter Charakter“ heißt es da immer wieder, und besonders jetzt, da die Szene gebannt nach Berlin schaut, offenbar in der Erwartung, dass es nicht lange dauern wird bis zur nächsten Zankerei.
Die Kommentare um Thielemanns Wahl bei diesem wichtigen Traditionsorchester enden immer wieder bei einer Gewichtung: Sein problematischer Führungsstil gegen seine musikalische Genialität. Beides wird dabei als gesetzt angesehen – und hier haben wir das erste Problem. Seine zwischenmenschlichen, sagen wir: Schwächen, sind belegt.
Die Geschichte von seinem musikalischen Genie wird dagegen mehr oder weniger ungeprüft und unkritisch einfach weitererzählt. Ich stelle hier mal die Tatsache fest: Christian Thielemann ist ein durchschnittlicher Dirigent. Seine Interpretationen sind manchmal toll, aber genauso oft auch einfach stinklangweilig. Lassen wir das kurz sacken.
Kommen wir zum zweiten Problem in diesem Diskurs: Christian Thielemann ist nicht nur charakterlich ein Mensch der eher unangenehmen Sorte, sondern auch was seine öffentlichen Äußerungen angeht. Er findet, Zitat, dass „die politische Korrektheit die Leute (…)lähmt“, und nutzt dementsprechend nach wie vor rassistische Beleidigungen wie das N-Wort in der Öffentlichkeit.
2015 sprach er sich dafür aus, den Anhängerinnen und Anhängern der rassistischen PEGIDA-Bewegung „zuzuhören“, wollte sich im Nachhinein aber nicht als „PEGIDA-Versteher“ bezeichnen lassen. Christian Thielemann tritt immer wieder als eine Art Verteidiger konservativer bürgerlicher Werte auf und betreibt dabei gekonnt klassisches rechtes Dogwhistling.
Von all dem mal abgesehen gibt es bei Thielemann zudem kaum anderes zu hören als deutsche Klassik und Romantik oder die Musik von Hans Erich Pfitzner, einem glühenden Nationalsozialisten und Antisemiten, den Thielemann gerne „rehabilitieren“ möchte. Denn Melodien, das sagte er mal in einem Interview, seien schließlich „unschuldig“.
Wie all dem auch sei: Was bedeutet nun die Berufung dieses Mannes auf diesen Posten? Im Grunde vor allem eins: Nämlich, dass trotz all der Kämpfe um Antidiskriminierung, Teilhabe und ästhetischen Fortschritt, trotz der Kongresse zur Gewinnung neuen Publikums und der Bewahrung der Klassik als gesellschaftlich relevante Kunstform ein Orchester wie die Berliner Staatskapelle nichts dazu lernen will.
Christian Thielemann wird dort eine Kuschelkammer für eine konservative weiße Parallelgesellschaft einrichten. Kann er, kann die Intendanz gerne tun. Doch sehr wahrscheinlich wird damit einer legendären Kuturinstitution auf Kurz oder Lang das Publikum davonschrumpfen. Nun – selbst schuld.