Ist die klare Position auf der Konzertbühne schon wieder out?

Félix Blume: Ao Pé do Ouvido (2022)

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Der dichte Nebel über Donaueschingen scheint ein Weltgefühl einzufangen am vergangenen Wochenende, und die kleine Stadt beweist einmal mehr ihr theatralisches Talent. Wo die Donau entspringt, quillt seit über 100 Jahren auch die musikalische Avantgarde, und gerade 2025 drängt sich die Frage auf: Was macht die Kunst in einer so instabilen, bedrohlichen Gegenwart? 

Lydia Rilling, die Leiterin der Musiktage, hat mit Voices unbound ein ultimativ politisches Motto für das Festival ausgegeben und gleichzeitig auch ein maximal offenes: Wer erhebt seine Stimme, wer nicht, wer wird gehört, wer nicht? Nach dem vergangenen Jahr schien die künstlerische Stoßrichtung der zeitgenössischen Musik weitgehend klar zu sein: Da sprudelte queere Freude, mahnte feministische Kritik und half eine KI bei der Würdigung antirassistischer Utopien. Eine wohltuend extrovertierte, direkte Kunst präsentierte sich da mit einem klaren Programm. Kunst wie eine Nebelschlussleuchte.

Nicht so diesen Oktober. Da stehen zwar „Stimmen“ im Titel, aber gesungen oder gesprochen wird nur wenig. Und die Komponisten, die es trotzdem wagen, mit Texten zu arbeiten, wählen keine Pamphlete, sondern lieber Dada: Georges Aperghis etwa schreibt den sechs Solistinnen und Solisten von Exaudi mehrsprachige, sinnbefreite Satzfragmente in die Partitur, zerfasernde Laute, die Tabea Zimmermann mit der Bratsche stört, erweitert und kommentiert. Hanna Eimermacher (Aura) vokaliert wortlos in mehrere Mikrofone gleichzeitig, während die Zuhörerinnen, weit verteilt im blau schimmernden Bartók Saal, fasziniert lauschen. Und Koka Nikoladze lässt in seinem selbstironischen Masterpeice(der Tippfehler ist Konzept) die japanische KI-Stimme von Google Translate lauter Siebenen und Satzzeichen deklamieren, auf deren Grundlage er das Orchester dann in rhythmische Ekstase versetzt. Einzig Kaja Draksler und Francesca Verunelli wählen Gedichte als Basis ihrer Werke – doch auch bei ihnen verschwimmen die menschlichen Stimmen mit den instrumentellen Klangfarben bis zur Unkenntlichkeit.

Die Stimme ist dieses Jahr also mehr ein abstrakter Begriff, das Sprechen wird zum metaphysischen Akt. Ist die klare Position auf der Konzertbühne schon wieder out? 

Es scheint, als zöge sich die zeitgenössische Musik 2025 in jene Selbstreferenzialität zurück, aus der sie vor wenigen Jahren erst den Ausbruch gewagt hat. Nur so lassen sich Laure M. Hiendls minimalistische 25 Remix-Minuten über ein paar Takte aus Ralph Vaughan Williams‘ 7. Sinfonie erklären, nur so macht die neu-alte Suche nach Objets trouvés für das Geräuschorchester, nach Synästhesie und meditativer Traumerfahrung Sinn. Diese Kunst sagt der Tragik und Verzweiflung der Wirklichkeit nicht den Kampf an, sondern schärft vielmehr die Sinne, will Zuflucht bieten, verbinden. 

Die Shuttlefahrten zurück ins Hotel nach den Uraufführungen werden so zum Sinnbild: Unterwegs hält der Fahrer mehrfach spontan an nachtschwarzen Sehenswürdigkeiten. Man sieht zwar nichts, aber egal. Wichtig ist, dass du weißt, dass es all diese Dinge gibt. Es wird ja auch wieder hell werden, irgendwann.