Maschinenkunst

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Die Normalisierung von maschinell generierter Kunst passiert extrem schnell. Längst haben KI-Bands und -Musiker wie Aventhis, The Devil Inside oder The Velvet Sundown mehrere Hunderttausend bis über eine Million monatliche Hörer*innen auf Streamingdiensten wie Spotify und Apple Music.

Museen kuratieren ganze Ausstellungen mit „Meisterwerken der künstlichen Intelligenz“ (Bad Oyenhausen), KI-generierte Fotos gewinnen die World Press Photo Awards (2023) und entsprechende Werke renommierte Kunstpreise (das Bild „Théâtre D’opéra Spatial“ gewann 2022 den Kunstwettbewerb der Colorado State Fair). Große Auktionshäuser wie Sotheby’s oder Christie’s versteigern Bilder, die entweder exklusiv von Machine-Learning-Systemen oder zumindest mit ihrer Hilfe gemalt wurden. Das Bild „AI-God“ der Roboterkünstlerin Ai-Da ersteigerte ein Sammler Ende 2024 für 1,2 Millionen Euro.

AUS DEM VOLLEN SCHÖPFEN. In einem verstorenden Auftritt erklärte Ai-Da vor zwei Jahren den Anwesenden im britischen Parlament mit starrem Blick, dass Technologie und Kunst sich ja immer schon ergänzt und befruchtet hätten, und dass das natürlich auch auf ihre Arbeit zuträfe. Allerdings hat der Roboter seine Argumentation nicht ganz zu Ende gedacht: Maschinell generierte Musik und Bilder speisen sich aus einem Pool aus menschen-gemachter Kunst. Solange es große Tech-Unternehmen sind, die diese Daten sammeln und verwalten, kann deshalb von gegenseitiger Befruchtung keine Rede sein. Denn egal, was ein*e Künstler*in in Kooperation mit einem der großen Systeme erarbeitet, es ist am Ende immer das System, das gewinnt (nämlich Daten), und die Künstler*innen, die verlieren (nämlich Kontrolle über ihre Daten). Oder?

Personifiziert wird dieses Problem von der neuen KI-Figur Tilly Norwood, deren Produktionsfirma sie als „nächste Scarlett Johansson“ in Hauptrollen einsetzen will. Norwood sei aus

„5.000 anderen Schauspieler*innen“ generiert worden, kritisiert die US-Schauspielerin Whoopi Goldberg.

Es scheint, als hätten NVIDIA, Microsoft, Adobe, Alphabet, Apple und Co mit dem Training ihrer Machine-Learning-Systeme endlich einen Weg gefunden, das Urheber*innenrecht zu umgehen. Seit Beginn des Buchdrucks regelt dieses Recht, wer mit einer Idee oder einem Werk Geld verdienen darf und wer nicht – es ist so gesehen ein Kind der kapitalistischen Eigentums- und Verwertungslogik, innerhalb derer ein Werk überhaupt vor Diebstahl „geschützt“ werden muss. Gleichzeitig diente das Urheber*innenrecht auch dazu, den vermeintlichen Wert eines Kunstwerks und seinen Schutzanspruch entlang vager Kriterien zu definieren (die aus den Werken von Männern abgeleitet und nach Belieben umgedeutet wurden: „genial“). Werke von weißen Männern bringen bis heute nicht nur mehr symbolisches Kapital als die Werke von allen anderen. Sie werden auf dem Kunstmarkt meist auch für vielfache Summen verkauft.

Frauen bleiben oft unsichtbar und publizierten früher – wenn sie überhaupt die Möglichkeit dazu hatten – nicht selten unter männlichem Pseudonym (wie etwa George Sand oder die Bronte-Schwestern) oder nur mit zur Initiale abgekürztem Vornamen (wie die Komponistin Matilde Capuis). Männer eigneten sich außerdem die Werke von Frauen schamlos an oder verschwiegen ihre Arbeit beim Schreiben der Musik-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, weshalb die wahren Schöpferinnen vieler Werke teilweise bis heute unbekannt sind.

DER LETZTE GRASHALM. Auch aus diesem Grund setzt sich eine feministische Netzpolitik in der Regel für eine Aufweichung und Abschaffung des Urheber*innenrechts ein. Ziel ist es, Wissen und Kunst für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen und zugleich die mit dem Urheber*innenrecht verbundenen sexistischen und rassistischen Genie-Mythen aufzubrechen. Gleichzeitig ist dieses Recht derzeit aber der letzte Grashalm, an den Künstler*innen sich klammern können, wenn es darum geht, ihre Werke vor dem Missbrauch und der Aneignung durch Tech-Giganten zu schützen: Die nämlich können sonst zum Verwechseln ähnliche Kunst produzieren.

und den Künstler*innen ihren Platz auf dem Markt streitig machen und sie um ihr Einkommen bringen. Bisher kommt die Gesetzgebung kaum hinterher: In Großbritannien ist derzeit ein Gesetz geplant, nach dem Musikschaffende aktiv widersprechen müssen, falls sie nicht wollen, dass ihre Werke zum Training von Machine-Learning-Systemen genutzt werden.

Verwertungsgesellschaften wie die GEMA planen, in Zukunft Lizenzen für diesen Zweck zu verkaufen – nur viel wird für die Künstler*innen selbst dann nicht herausspringen.

Anfang des Jahres protestierten zahlreiche britische Künstler*innen, darunter Cat Stevens, Hans Zimmer, Kate Bush und Annie Lennox, mit einem stillen Album dagegen:

Auf „Is This What We Want?“ ist kein einziger Ton zu hören, nur die Stille leerer Studios.

Die GEMA klagte gegen OpenAI, L.L.C und gegen OpenAI Ireland Ltd., um nachzuweisen, „dass OpenAI systematisch das Repertoire der GEMA verwendet, um seine Systeme zu trainieren“. Offene Briefe wie etwa gegen die KI-Auktion bei Christie’s Anfang des Jahres oder gegen Content Scraping mit Blick auf Kunst im Allgemeinen unterschrieben Tausende Künstler*innen, auch unter dem Hashtag #NoToAIArt posteten 2022 und 2023 etliche Gegner*innen der ausbeuterischen Praxis.

Künstler*innen, die die Video-KI Sora testen sollten, haben 2024 stattdessen in einer Guerilla-Aktion die Zugangsdaten veröffentlicht und einen Brandbrief geschrieben. Einzelne protestieren auf ihre Weise – der Künstler Michael Forbes etwa übermalte eigene Bilder, um gegen die wachsende Dominanz der Maschinenkunst aufzubegehren. Aber sonst? Wo bleibt der große, der ganz große Aufschrei?

OUTGESOURCTE ARBEITSKRÄFTE. Das Problem liegt nämlich nicht allein bei den einzelnen Künstler*innen, die durch die Aneignung ihrer Kunst durch große Unternehmen immer weniger Aufträge bekommen und weniger Geld verdienen werden. Künstler*innen sind in der Wachstumswut der Tech-Giganten nur ein kleines Teilchen, das unter die Räder gerät:

Die Unternehmen, die die großen Machine-Learning-Systeme entwickeln, stützen ihr gesamtes Geschäftsmodell auf kapitalistische, koloniale und patriarchale Logiken. „Fragt man ChatGPT, wem wir die ,digitale Revolution zu verdanken haben, listet der Chatbot die Namen einiger Männer aus Europa und den USA auf“, schreiben Ingo Dachwitz und Sven Hildig, die Autoren des Buchs „Digitaler Kolonialismus*.

Allerdings verschweige diese Erfolgsgeschichte, die das Silicon Valley sich selbst und der Welt erzählt, die Menschen, „die mit ihrer Arbeit dazu beigetragen haben, dass ein Programm wie ChatGPT überhaupt funktionieren kann: die outgesourcten Arbeitskräfte, die in Ländern des Globalen Südens künstliche Intelligenz trainieren und soziale Medien moderieren. Es ist auch kein Platz für Menschen, die in der Demokratischen Republik Kongo in Minen schuften und Kobalt abbauen, das für die materielle Basis der Digitalisierung derzeit unverzichtbar ist. Für all diejenigen, die als Datenlieferanten und Versuchsobjekte dienen, um die Produkte der Tech-Konzerne zu verbessern.“

Arbeiter*innen und Datenlieferanten – mehr sind demnach auch die Künstler*innen nicht, die etwa mithilfe von Systemen wie Artbreeder, Midjourney, DALL-E oder einer der vielen anderen Technologien ihre Gemälde erzeugen. Schuldig machen sich für Dachwitz und Hildig alle, die ein Smartphone besitzen, einen Laptop nutzen oder E-Auto fahren:

„Das ist eine bittere Wahrheit, an der wir nicht vorbeikommen.“ Und jetzt? Allen guten, utopischen Argumentationen zum Trotz, die, um koloniale, kapitalistische und patriarchale Kontinuitäten zu durchbrechen, völlig zurecht die Abschaffung des Urheber*innenrechts fordern, muss man entgegenhalten: Im Moment wären entsprechende Entscheidungen dennoch wohl eher kontraproduktiv. Das Urheber*innenrecht erscheint gerade als letzte Bastion im Widerstand gegen das vollständige maschinelle Verschluckt werden. Umso wichtiger ist es, dass Künstler*innen weiter aufbegehren – und mit ihnen die Zivilgesellschaft, der hoffentlich an einer freien und selbstbestimmten Kunst gelegen ist.