Stadt, Land, Bach

Zu den Wirkungsorten Johann Sebastian Bachs fällt den meisten wohl als erstes eine Stadt ein: Leipzig. Hier komponierte er immerhin den Großteil seiner über 1200 Werke. Seine Wurzeln aber liegen in Thüringen, wo heute ein Bachfest das nächste jagt. Ein Besuch bei dem größten unter ihnen, den Thüringer Bachwochen.

Wenn man die Georgenkirche am Marktplatz in Eisenach betritt, kann es passieren, dass man sich kurz erschreckt. Wie ein monströser Schatten beugt sich von der rechten Wand im Vorraum aus eine Gestalt über die hereinschreitenden Besucher, die trotz der Offensichtlichkeit, wen sie darstellen soll, erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist: ein schwarzbronzener, meterhoher Johann Sebastian Bach mit ernstem Blick und dozierend ausgestreckter rechter Hand. Ein germanischer Held, tonnenschwer und glänzend.

Der Berliner Bildhauer Paul Birr schuf einige solcher Denkmäler, von denen dieses aus dem Jahr 1939 aber nicht so richtig an den Ort zu passen scheint, an dem es steht. Als Johann Sebastian Bach nämlich an diesem für die Eisenacher so bedeutenden ersten Mal die Georgenkirche selbst von innen sah, womöglich noch verschwommen, war er gerade zwei Tage alt, ein hilfloses Baby und nie weiter davon entfernt, zu einem Teutonen wie dem im Eingangsbereich zu werden.

Der originale Taufstein ist nur ein paar Schritte entfernt von der Statue. Es ist der Stein, über den seine Mutter oder sein Vater oder beide in einem Gottesdienst am 23. März 1685 ihren winzigen Sohn halten mussten, damit, wie schon damals in der evangelisch-lutherischen Kirche üblich, ein Geistlicher ihm Wasser über den Kopf gießen konnte. Babys fangen dabei meistens an zu weinen oder zu schreien, der kleine Johann Sebastian vielleicht ja auch. Man wird ganz andächtig, wenn man vor diesem Stein steht.

Bei den Thüringer Bachwochen fanden auch in dieser Kirche Konzerte statt, direkt am Eröffnungstag ein „Geburtstagskonzert“ mit dem A-Cappella-Ensemble Slixs, das sich am Taufstein gruppierte, später spielten Gli Angeli Genève und Cappella Amsterdam. „Für viele Künstler“, sagt Christoph Drescher, Intendant und Leiter des Festivals, sei es „eine spirituelle Erfahrung“, an den historischen Orten Bach zu spielen. „Man fragt sich dann, wie die Musik heute wäre, wenn es Johann Sebastian Bach nicht gegeben hätte.“

Über die Festivalzeit von etwas mehr als drei Wochen hat Drescher dieses Jahr 54 Konzerte an 37 Orten organisiert, die meisten darunter sind historische Stätten oder irgendwie von historischer Bedeutung für Bach und die Bach-Familie. Sie abzufahren, an ihnen Konzerte zu hören ist wie eine Spurensuche in den ersten Lebensjahren des Komponisten, über den wir heute ja noch immer fast nichts Persönliches wissen, weniger „als über das Privatleben irgendeines anderen großen Komponisten der letzten 400 Jahre“, wie John Eliot Gardiner schreibt.

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