Génie en famille

In der Kölner Philharmonie gibt es in diesen Tagen wohl die schönste Interpretation von Camille Saint-Saëns‘ Orgelsinfonie, die das Haus je gehört hat. Daniel Roth (Orgel) und sein Sohn François-Xavier (GMD des Gürzenich-Orchesters) sind zwei Klangfarbenkünstler vor dem Herrn. Hannah Schmidt hat sie zum Interview getroffen.


Dass sie eng miteinander verwandt sind, ist schwer zu übersehen: Daniel und François-Xavier Roth haben die gleichen Stirn- und Lachfalten, eine sehr ähnliche Art zu gestikulieren, den selben offenen Blick aus runden Augen. Der eine ist Organist und Vater, der andere Dirigent und Sohn. Schon im Interview entsteht mit ihnen und zwischen ihnen ein besonderer Klang.

Wie ist es für Sie, miteinander Musik zu machen?

Daniel: Ja, wir haben uns immer ganz gut verstanden …

François: (auf Französisch) Man hört dich nicht, wenn du in diese Richtung sprichst (schiebt ihm das Mikrofon etwas näher hin).

Daniel: … Wir haben uns immer gut verstanden, auch in Bezug auf unsere Begeisterung für die Musik. Als François Flötist war, haben wir Konzerte für Orgel und Flöte gespielt, sehr viele sogar, haben CDs aufgenommen, und danach hat er Dirigieren angefangen, und dann kam es ganz … naturelle.

Der Hintergrund

Daniel und François-Xavier Roth machen schon zusammen Musik, seit François ein Kind war. Bevor er Dirigent wurde, war er Flötist. Er, sein Bruder Vincent und sein Vater musizierten viel miteinander, mit seinem Vater auch zu zweit mit Orgel und Flöte. In der Besetzung Orchester und Orgel mit François als Dirigent arbeiten Vater und Sohn seit etwa zehn Jahren zusammen, schätzt François, der diese Zusammenarbeit initiierte.

Aber wie unterscheidet sich das Musizieren als Sohn und Vater von dem Arbeiten mit anderen Musikern?

François: Ich denke, dass die Musiker im Orchester, in allen verschiedenen Orchestern, mit denen wir gearbeitet haben, spüren, dass wir ein besonderes Verhältnis zueinander haben, und das ist etwas sehr Spezielles. Ich bin wegen meines Vaters Musiker geworden. Diese Verbindung ist da, sie ist sehr sensible, sehr besonders. Schwer zu beschreiben. Das ist schon sehr anders als mit anderen.

Daniel: Mir ist es eine unglaubliche Freude, dass wir grundsätzlich ganz gleiche Ideen haben. Wir probieren immer, den Komponisten zu dienen, vor allem in Bezug auf die Klangfarbe. Und ich bin sehr froh, dass mein Sohn – auch wie einige andere Dirigenten – den Komponisten so respektiert und probiert, den Originalklang hinzukriegen. Da steht er in der Nachfolge von Harnoncourt, der mit historischen Instrumenten gearbeitet hat, und der Engländer, wie heißt der …

François: Gardiner.

Daniel: … Gardiner, also die mit Originalinstrumenten die Musik spielen, vom Barock, der Romantik, der Zeit Strawinskis und so weiter. Also da bin ich sehr, sehr glücklich drüber. Da haben wir wirklich die gleichen Vorstellungen.

Gibt es denn trotzdem manchmal ästhetischen, interpretatorischen Dissens?

Daniel: Na, also ich bewundere beispielsweise sehr, wie François alles von der ganz alten Musik von Rameau bis Boulez mit großartiger Technik beherrscht, und wunderbar interpretiert. (Zu François) Oui?

François: … jaja, aber das war ja nicht die Frage …

Daniel: Ich dagegen bin nicht so zu Hause in der zeitgenössischen Musik. (lacht) Aber François, der macht Boulez wie ein Fisch im Wasser! Und, also ich bin sehr …

François: Nicht so interessiert. Du bist einfach nicht so interessiert an dieser Musik.

Daniel: Ja, aber François gibt mir schon einige Ideen mit, damit man diese Musik besser versteht. (François lacht)

François: Das hat aber vielleicht auch mit den Generationen zu tun. Und einfach mit Geschmack. Aber wenn wir zusammen musizieren, dann verstehen wir uns sehr gut. Das ist keine Frage. Danach kann es sein, dass wir anderen Geschmack für unterschiedliche Musiken haben, aber das ist auch natürlich: Mein Vater kommt aus der Orgelmusik, das ist eine eigene Welt! Und Sinfonie-, Orchestermusik oder Oper ist auch etwas anderes.

Und innerhalb der Stücke, die Sie zusammen erarbeiten, sind Sie tatsächlich im Großen und Ganzen immer einer Meinung?

Daniel: Das, also das wär nicht gut, wenn da andere Meinungen … Über die ganze barocke und romantische Musik haben wir einfach die gleichen Ideen.

François: Ja, das stimmt. Immer, wenn wir die Entscheidung treffen, zusammen Musik zu machen, dann ist das nicht nur ein Sohn mit seinem Vater, das ist auch eine musikalische Entscheidung. Da arbeiten dann ein Solist und ein Dirigent zusammen. Ich könnte mir nicht …

Daniel: … vorstellen …

François: … vorstellen, mit einem Solisten zu arbeiten, dessen Vorstellungen total anders sind als meine eigenen.

Hat das vielleicht auch mit häuslicher musikalischer Sozialisation zu tun? In der Familie?

Daniel: Ja, in der Familie haben wir uns auch immer schon gut verstanden …

François: Ja, aber das könnte sein, das könnte sein! Ich war immer sehr fasziniert von der Arbeit meines Vaters mit verschiedenen Orgeln und mit jedem Repertoire und ich hatte auch einen großen Respekt vor diesen alten Instrumenten, zu erleben, wie das klingt. Das habe ich auch in meine Arbeit übernommen. Ich denke, man kann sagen, dass es in der Musikwelt wohl zwei große Kategorien von Musikern gibt: Die einen, die sehr an ihrem Ego, an ihrer Persönlichkeit als Interpreten interessiert sind …

Daniel: … und die, denen der Komponist wichtiger ist.

François: Genau, das ist die zweite Kategorie. Musiker, die immer wirklich danach suchen, was die Intention des Komponisten war, wie man diese Werke interpretieren und spielen muss. Wir beide denken nur an die Komponisten.

Daniel: Da sind wir ganz gleich. Ganz gleich.

François: Langweiliges Interview, oder? (lacht laut)

Im Gegenteil! Ich erlebe das selten, dass Musiker, beziehungsweise auch Vater und Sohn, wirklich so sehr einer Meinung sind. Sie spielen jetzt unter dem Dirigat Ihres Sohnes, er hat in den Proben die Hosen an, wie ist das für Sie?

Daniel: Kein Problem. Wenn ein Dirigent ein Orchester leitet, dann ist er derjenige, der die Verantwortung hat für die ganze Sache. Das liegt nicht bei demjenigen, der die Pauke spielt oder die Tuba, nein, der Dirigent hat die Verantwortung, man muss unbedingt machen, was er will.

Was würde passieren, wenn Sie die Rollen tauschen würden?

(François lacht)

Daniel: Ich, dirigieren? Das würde ich ganz gerne mal machen, oh ja! Hab ich auch schon viel gemacht, früher, da aber mit Chören, nicht mit Orchestern.

François: Das ist Fiktion, aber – ja, warum nicht. Also, als ich jünger war, war mein Vater ein Dirigent für meinen Bruder und mich, denn er war der Musiker, und wir waren Schüler oder Studenten, das wäre eigentlich logischer, diese Situation. Aber es ist anders, das geht auch.

Sie sind Organist, Sie sind Dirigent: Was sagt Ihre Art, sich musikalisch auszudrücken, Ihr „Instrument“, wenn man so will, über Sie aus?

François: Schon als ich ganz jung war, hatte ich dieses Gefühl, dass ich vielleicht die Fähigkeit haben könnte zu führen und zu organisieren, zu motivieren, und das mit einer besonderen Vision für die Musik. Ich habe ein Orchester gegründet, ich mag Organisation, ich mag es, viele Leute um mich zu haben.

Daniel: Darf ich etwas addieren? Als er ganz klein war, in der Schule, da hat François sehr, sehr einfach und ohne Probleme Kontakt zu anderen Menschen gefunden. Meine Frau und ich konnten uns erinnern, wie er, ganz klein, als er den ersten Tag in die Schule kam und keinen von den Mitschülern kannte, einfach zu einigen hingegangen ist und gesagt hat: ‚Wir kennen uns nicht? Lass uns Freunde sein!‘ Es ist ihm unwahrscheinlich einfach, den Kontakt herzustellen.

François: Mais, c’est pas la question. Was sagt dein Instrument, Orgel, sur ta personnalité?

Daniel: Nur noch ein Satz. Also, François ist so. Und meine Frau und ich waren ziemlich timide

François: Schüchtern.

Daniel: Ja, schüchtern. Und sehr viele Male hat sie mich gefragt: Wie haben wir das gemacht? Sowas hinzukriegen? (lacht)

François: (lacht) Mais, c’est à toi! Was sagt die Orgel über deine Persönlichkeit aus?

Daniel: Also ich habe sehr früh mit Orgel angefangen.

François: Das ist aber nicht die Frage. Was sagt die Orgel über dich aus?

Daniel: Das ist jetzt schwer zu sagen, schwer zu sagen. Ich habe ja gesagt, ich bin ein bisschen schüchtern, und dann ist es ein bisschen komisch, wenn eine Person so ein riesen Ding da beherrscht und sozusagen die Leitung hat über eine so unglaublich große Maschine. Darüber habe ich bis jetzt noch nicht nachgedacht. Viele Leute sagen, ich sei in einer Orgelpfeife geboren. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt in Kirchen – wir waren sehr fromm in der Familie –, mit der wunderbaren Liturgie, schon als ich klein war, die schönen gregorianischen Choräle. Das ist einfach meine Welt!

Was schätzen Sie denn besonders am jeweils anderen?

Daniel: Also, er hat schon seinen Charakter (lacht), kann man sagen. Und das muss er ja auch, um Orchesterdirigent zu sein, da muss man schon Charakter sein. Und er ist de la suite dans les idées, verstehen Sie das? Er weiß, was er will, und er verfolgt seine Ziele hartnäckig. Und er ist, wie sagt man, généreux?

François: Großzügig.

Daniel: Ja, genau. Er ist sehr gut in seinem Charakter. Ich bewundere ihn sehr, er ist hochbegabt als Musiker. Auch seine Kinder, sein erstes Kind, Felix, hochbegabt als Musiker, Hornist, aber hat sich Klavierspielen selbst beigebracht, und der improvisiert … Ich habe neun Enkelkinder, und da sind sehr viele wunderbare … der Dritte ist im Malen besonders begabt.

François: Was ich heute schätzen kann, ist, dass mein Vater mir, als ich Student und junger Musiker war, immer mit Respekt begegnet ist, bei allem, was ich gemacht und entschieden habe. Dieser Respekt, diese kleine Distanz, ist sehr, sehr, sehr précieux, sehr wertvoll. Ich war immer fasziniert von seiner Musikalität, von dem, was er macht. Als Musiker generell war er mein erster Einfluss, keine Frage. Er ist sehr spontan, nicht so schüchtern, wie er sagt, sehr spontan, manchmal ein bisschen verrückt – und das mag ich auch sehr.

Gibt es Eigenschaften, die Sie aneinander beneiden? Eigenschaften, die Sie selbst gerne hätten?

François: Oh, das ist eine komplizierte Frage. Also, ich hätte gern seine Gesundheit. Er ist sehr vital, obwohl er nicht mehr der Jüngste ist. Wenn ich so alt bin wie er, wär ich gern auch so fit.

Daniel: Also nicht rauchen!

François: (lacht)

Daniel: Er hat versprochen, an seinem Geburtstag …

François: Allez, allez, Papa, das reicht jetzt!

Daniel: Jaja, allez, allez. (lacht)

Zum Schluss: Welches Stück würden Sie gerne als nächstes zusammen auf die Bühne bringen? Nach Saint-Saëns?

Daniel: Es gibt nicht so viele interessante Werke für Orchester und Orgel. Was ich aber gerne mit ihm machen würde, ist das „Requiem“ von Maurice Duruflé, das war mein Lehrer. Ein wunderbares Werk!

François: Also vielleicht diese Achte Sinfonie von Mahler mit ihrer großen Orgelstimme. Wir sind sehr glücklich über das Projekt in diesem Jahr, denn diese Saint-Saëns-Sinfonie ist ein Meisterwerk, die ist schon fast perfekt für unsere Kombination Orgel und Orchester.

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