Bin mal kurz beim Bäcker

Alexandre Tharaud steckt die Müdigkeit noch in den Knochen: Zwei Tage vor unserem Treffen im Dortmunder Mercure Hotel hat er in Paris seinen 50. Geburtstag gefeiert, mit 170 Gästen, bis tief in die Nacht. Jetzt ist er schon seit ein paar Stunden wieder knapp 470 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem seine Familie und Freunde nach langer Zeit mal wieder zusammengekommen waren – schon am nächsten Tag stieg er wieder ins Flugzeug. Er gähnt zwischendurch, spricht leise, lacht leise. Seine schmale Gestalt scheint in dem großen Ledersessel in der Lobby manchmal fast zu versinken. Dennoch: Wenn er redet und seine Gedanken formuliert, wirkt er präsent, wach. Die 50 Jahre sieht man ihm nicht an, er wirkt sehr viel jünger, beinahe jugendlich.

Im Oktober erschien sein aktuellstes Album mit Beethovens letzten Klaviersonaten op. 109, 110 und 111. Es ist seine erste Beethoven-Aufnahme, zuvor widmete er sich wiederholt Schubert, Bach oder Chopin, spielte das gesamte Klavierwerk Maurice Ravels und die Sonaten von 
Domenico Scarlatti ein. Alexandre Tharaud fällt auf – durch seine Feinsinnigkeit, und zwar auf so gut wie allen Ebenen: makrokosmisch in der Auswahl seines Repertoires, wo scheinbar jedes Genre, jede Epoche vertreten und die jeweiligen musikalischen Ansätze extrem unterschiedlich sind und in ihrer Verschiedenheit bestehen bleiben. Mikrokosmisch innerhalb seiner Interpretationen, manchmal nur in einer Phrasierung, einem einzigen Takt, einem einzigen Ton. Tharaud lässt sich aufrichtig erschüttern. Er scheint der Musik mit angehaltenem Atem zu lauschen, als spiele er nur für sich. Seine Beethoven-Sonaten sind fein gezeichnet. Er legt mit großer Konzentration die harmonischen Strukturen und melodischen Details frei. Dabei ist das Klavier für ihn, wie er es nennt, »nur ein Instrument« – denn ihm geht es im Grunde um etwas anderes als das Spielen.

VAN: Alexandre, herzlichen Glückwunsch erst einmal …

Alexandre Tharaud: Naja – Danke. Es ist nicht leicht, 50 Jahre alt zu sein. (lacht)

Dabei ist Geburtstag haben doch etwas Schönes.

Eigentlich schon. Aber ich habe irgendwie nie gerne Geburtstag gehabt. Vielleicht liegt es an einem Erlebnis von früher: Als ich elf Jahre alt wurde, habe ich für mich und meine Freunde eine Feier bei uns zu Hause organisiert – und niemand ist gekommen. Das war schockierend. Ich dachte wirklich, niemand mag mich.

Das hat sich ja jetzt hoffentlich geändert.

Ja, und weiß du: Ich habe beschlossen, ab jetzt jedes Jahr meinen Geburtstag groß zu feiern, weil es wirklich schön war. Man vergisst für den Bruchteil eines Tages, dass man alt ist. (lacht)

Aber ist das Leben als Pianist nicht ohnehin ein altersloses, zeitloses?

In diesen Jahren Pianist zu sein ist schwierig. In den 40er, 50er, 60er Jahren ist ein französischer Pianist, wenn er nach Deutschland gekommen ist, für zwei, drei Wochen geblieben, hat eine richtige Tour gemacht. Wir kommen mittlerweile manchmal nur für ein Konzert, fliegen noch am gleichen Tag wieder zurück. (…)

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